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Radrennen

Atlas Mountain Race 2025 Rennbericht

Das Atlas Mountain Race ist ein Unsupported Ultracycling Event in Marokko. Es startet in Marrakesh, führt über das Atlas Gebirge und den Anti-Atlas und endet nach 1300 km in Essaouria. Ich durfte 2025 daran teilnehmen und berichte hier ein bisschen über meine Zeit auf dem Rad. Wer mehr mehr über meine Vorbereitung und das Setup lesen möchte, bitte hier entlang.

Inhalt

Tag 0: Die Ruhe (?) vor dem Sturm
Tag 1: Marrakesh nach Imassine (263 km, 5561 hm)
Tag 2: Imassine bis kurz vor Taznakht (199 km, 5 091 hm)
Tag 3: Taznakht nach Ibn Yacoub (185 km, 3 302 hm)
Tag 4: Ibn Yacoub nach Ait Mansour (199 km, 4 480 hm)
Tag 5: Ait Mansour nach Ait Nisser (180 km, 3 309 hm)
Tag 6: Ait Nisser nach Irgendwo im Nirgendwo (86 km, 2788 hm)
Tag 7: Irgendwo im Nirgendwo nach Essaouria (Finish) (169 km, 2 367 hm)

Tag 0: Die Ruhe (?) vor dem Sturm

Der Start des Atlas Mountain Race ist erst um 18 Uhr. Dadurch steht zwar der ganze Tag noch zur freien Verfügung, jedoch bringt so ein später Start auch den gewohnten Gang vor einem solchen Rennen etwas durcheinander. Ich bin seit zwei Tagen in Marrakesch und hatte somit schon genügend Zeit, um mein Rad aufzubauen, andere Rennteilnehmer:innen kennen zu lernen und mich am Frühstücksbuffet zu stärken. Außerdem gab es da noch den kleinen (absolut vermeidbaren) Stress um die richtige Fahrradpumpe:

Als ich mein Rad aufgebaut habe und die Reifen aufpumpen wollte ist mir nämlich aufgefallen, dass meine Luftpumpe viel zu klein ist um ordentlich Druck auf die Reifen zu bringen. Und ja, das hätte man früher checken sollen – habe ich aber leider nicht. Und wie das dann so ist, sobald man einmal über etwas länger nachdenkt wird man sich bad immer sicherer, dass man ohne eine andere Luftpumpe das Rennen auf keinen Fall wird finishen können (ich hoffe, dass ihr wisst, wovon ich spreche…). Glücklicherweise gibt es in Marrakesch zwei Läden mit Fahrradzubehör: Ein unabhängiger kleiner Laden und Decathlon. Ich bin natürlich erst mal in den kleinen Laden. Ein Händler dort spricht sogar Deutsch („ich lerne gerne Sprachen“), ist total nett und besorgte mir innerhalb von 24 h eine Pumpe. Diese war jedoch leider für mein Ventil nicht geeignet.

Dementsprechend bin ich kurz versucht, am Tag des Rennstarts doch noch zum Decathlon zu fahren. Glücklicherweise kann ich mir jedoch eine Pumpe von einer anderen Renn-Teilnehmerin ausleihen (Danke noch mal dafür!). Und CO2 Kartuschen bekomme ich ebenfalls noch. Somit ist mein innerer Unruhestifter besänftigt und ich bereit für das Rennen. 

Tag 1: Marrakesh nach Imassine (263 km, 5561 hm)

Vor dem Start gibt es noch das obligatorische Riders-Briefing, bevor es dann pünktlich um 18 Uhr los geht. Das Wetter ist super, die Stimmung auch und so verfliegen die ersten Kilometer. Während ich dem ersten Anstieg entgegen fahre geht hinter mir die Sonne langsam unter und bald ist es komplett dunkel. Lediglich die schneebedeckten Gipfel des Hohen Atlas reflektieren das Licht ein bisschen und sorgen für eine sehr schöne Stimmung.

Es geht zuerst einen ersten ca. 30 km langen Anstieg nach oben und anschließend dann über den 2800 m hohen Telouet-Pass. Je höher ich komme, desto mehr Schnee liegt auf dem Weg. Ich muss immer wieder schieben, komme insgesamt aber recht gut voran. Allerdings merke ich die Höhe und die fehlende Akklimatisierung. Es hilft, dass ich immer wieder andere Fahrer treffe und man sich gegenseitig zum weiterfahren motivieren kann. Hinter dem Pass geht es dann über einen schmalen Eselspfad wieder 4 km nach unten. Dieser ist für mich definitiv nicht fahrbar, weshalb ich große Teile schieben muss.

Leider verlaufe ich auf der Hälfte noch und finde nur mühsam mit einem anderen Fahrer gemeinsam den Weg. Trotzdem ist der Abschnitt lange nicht so schlimm, wie ich es mir vor dem Rennen immer ausgemalt hatte. Und tagsüber wäre es vermutlich aufgrund der Sonne noch mal deutlich anstrengender gewesen.

Schließlich erreiche ich den ersten Checkpoint. Hier gibt es das erste Mal die berüchtigten Tajine, Omelette und Minztee und natürlich einen Stempel in die Race-Karte. Es tut sehr gut sich mal kurz hin setzen und aufwärmen zu können. Während manche Fahrer schon am Checkpoint schlafen entscheide ich mich jedoch dafür weiter zu fahren. Während den ersten Kilometern geht die Sonne auf und es warten ein paar coole Singletrails und etwas technische Abfahrten. Ich muss immer wieder an eine Aussage denken, die ich auf Instagram gelesen habe. Gemäß derer ist das AMR „easy in regard of the treck“. Dies würde ich tatsächlich nicht so unterschreiben. Es ist auf jeden Fall einfacher als das Trans-Balkan Race, aber trotzdem schaden ein paar MTB-Skills nicht (wobei diese bei mir leider nicht so ausgeprägt sind…).

Ich mache einen kurzen Rast in Ghassat (wieder Omelette, Minztee und Jogurts) und fahre dann weiter Richtung Imassine. Während des nächsten Abschnittes muss man immer wieder vom Bike absteigen um ein bis zwei Meter tiefe Flussbetten zu passieren. Gleichzeitig ist der Treck nicht so einfach zu finden. Dementsprechend schnell vergeht die Zeit und es ist schon dunkel, als ich schließlich Imassine erreiche.

Ich esse eine Tajine und frage dann die Besitzer des Restaurants, ob es in dem Ort ein Hotel gibt. Nein, das nicht, aber ich dürfe gerne bei ihnen schlafen. Und so werde ich nach dem Essen ins Wohnzimmer geführt und darf sogar mein Rad mit in die Wohnung nehmen. Ein Hoch auf die marokkanische Gastfreundschaft!

Tag 2: Imassine bis kurz vor Taznakht (199 km, 5 091 hm)

Ich schlafe tief und fest und baue das Klingeln meines Weckers in meine Träume ein. Denn als ich endlich wach werde zeigt die Uhr 03:39 und ganz ehrlich, niemand stellt seinen Wecker auf solch krumme Uhrzeiten. Meine arme Gastfamilie! Wie immer in der ersten Nacht eines solchen Rennens fällt es mir schwer aufzustehen. In der Nacht zu fahren ist zwar mittlerweile ziemlich normal geworden, aber nach wie vor ist da manchmal diese kleine Stimme in mir die schreit: „Ist das nicht zu gefährlich?“. Dabei ist nachts fahren manchmal sogar sicherer als tagsüber: Weniger Verkehr, weniger Ablenkung, gemäßigtere Temperaturen. Und natürlich bin ich nicht lange alleine, andere Fahrer sind ebenfalls schon unterwegs.

Es ist fast Vollmond, man sieht viele Sterne und insgesamt ist die Atmosphäre total schön.

Vor mir liegt ein abgelegenes Stück mit vielen kurzen An- und Abstiegen. Es ist fast Vollmond, man sieht viele Sterne und insgesamt ist die Atmosphäre total schön. Kurz nachdem die Sonne aufgegangen ist heißt es noch mal schieben um auf ein Gipfelplateau zu kommen. Ich mache einen kurzen Powernap und ein paar Fotos, bevor ich dann meinen Weg zurück nach unten antrete. 

Dieser geht wieder über relativ groben Schotter und ich werde ordentlich durchgeschüttelt. Mittlerweile habe ich jedoch gelernt mehr auf mein Bike zu vertrauen. Ich weiß, wann ich gefahrlos bremsen kann und wann es besser ist, die Räder einfach laufen zu lassen. Dementsprechend bin ich auch bei den Abfahrten nicht mehr ganz so langsam unterwegs (an dieser Stelle: Danke Jörg für den kleinen MTB Crashkurs vor meiner Abreise!).

Kurz vor Afra überhole ich das erste Mal eine andere Rennteilnehmerin und es beginnt von nun an ein kleines Katz und Maus Spiel zwischen uns. Wir haben ungefähr die gleiche Geschwindigkeit und treffen uns daher immer wieder an den Resupply-Points. Im Gegensatz zu mir ist sie jedoch deutlich fokussierter und verliert weniger Zeit durch Fehler oder schlechte Planung als ich. So fährt sie zum Beispiel in Afra direkt zu dem Restaurant, während ich anderen Fahrradspuren folgend einen kleinen Umweg fahre. Im Endeffekt sind das maximal 10 Minuten, aber es macht mir trotzdem schlechte Laune. Während des nächsten Abschnitts versuche ich diese jedoch in Watt umzuwandeln um so die verlorene Zeit wieder gut zu machen.

Insgesamt ist der Treck nach Afra deutlich einfacher, da sowohl die Wege besser fahrbar als auch die Höhenmeter gemäßigter sind. Als die Sonne gerade unter gegangen ist erreiche ich gegen 19 Uhr ein Restaurant. In diesem gibt es nicht nur sehr leckere Omeletts, sondern auch einige Zimmer und ein paar Rennteilnehmer schlafen hier auch. Ich hatte mir jedoch vorgenommen noch bis nach Taznakht (ca. 70 km entfernt) zu kommen, weshalb ich weiter fahre. Dies ist rückblickend gesehen ein Fehler gewesen. Ich bin total müde, verliere immer wieder den richtigen Weg und habe insgesamt eine sehr niedrige Durchschnittsgeschwindigkeit. Außerdem ist der Untergrund oft steinig und es ist gar nicht so leicht, einen guten Platz zum schlafen zu finden. Aber irgendwann geht es nicht mehr anders, ich nehme den nächstbesten Platz den ich finden kann und lege mich mitsamt Radklamotten in meinen Biwacksack.

Tag 3: Taznakht nach Ibn Yacoub (185 km, 3 302 hm)

Nach zwei Stunden umerholsamen Schlaf fahre ich die letzten 20 km weiter nach Taznakht. Es ist kalt und ich bin völlig durchgefroren, als ich schließlich in dem kleinen Dorf ankomme. Glücklicherweise hat schon ein Café geöffnet und hier sitzt auch schon ein anderer Fahrer, dem es genauso mieß geht wie mir. Der Besitzer des Cafés stellt uns einen kleinen Ofen hin, kocht uns einen Kaffee nach dem anderen und versorgt uns mit sehr leckerem Essen. Nach der Kälte und Einsamkeit der Nacht fühlt es sich wie ein Paradies an.

Wir bleiben viel zu lange und fahren erst mit dem Sonnenaufgang weiter. Mittlerweile ist meine Laune wieder gut, ich genieße die Landschaft, kleine Interaktionen mit Einheimischen und die Tatsache, dass ich gerade keine weiteren Verpflichtungen als das Radfahren habe. Sehr ausgeglichen komme ich gegen Nachmittag beim CP2 an. Hier gibt es wieder leckeres Essen, sowie eine richtige Toilette und einen Balkon für einen kurzen Power-Nap. Ich bin kurz versucht hier noch länger zu bleiben, fahre dann jedoch doch weiter. Es geht eine Straße mit vielen Serpentinen herunter und anschließend durch einen Canyon. Die Kulisse ist wirklich beeindruckend und ich bin froh, dass ich diesen Abschnitt tagsüber fahre.

Ich treffe einen Schäfer, der mir gleich mal eine kleine Ziege in die Arme drückt…

Nach einem Stück auf Asphalt geht es anschließend noch mal auf Geröll. Der Abschnitt ist beschrieben als „Slow Section with some HAB“, aber ich komme ganz gut durch. Für die Strapazen entschädigt auch hier wieder die Landschaft. Außerdem treffe ich einen Schäfer, der mir gleich mal eine kleine Ziege in die Arme drückt. Er würde gerne ein Selfie machen, jedoch ist seine Speicherkarte voll was ihn ziemlich frustriert. Gleichzeitig ist die Ziege auch nicht so happy und so lasse ich sie bald wieder runter und fahre weiter.

Im Dorf habe ich dann meine erste (und einzige!) nicht so schöne Begegnung mit ein paar Jungs, die ziemlich aufdringlich nach Süßigkeiten verlangen. Hier hilft nur ein entschlossenes Auftreten und zügiges weiterfahren. Mittlerweile ist die Sonne unter gegangen und für mich beginnt ein Kampf gegen den Schlaf. Der Weg verläuft komplett auf Asphalt und die Steigung ist modert – perfekte Bedingungen zum einschlafen. Um dem entgegen zu wirken telefoniere ich mit meinem Mann. Er berichtet mir von einem Cafè, in dem einige Rennteilnehmer:innen auch schlafen. Dieses ist nur noch ca. 20 km entfernt und ich beginne kräftig in die Pedale zu treten, um möglichst schnell dort anzukommen.

Der Ort ist schon aus großer Entfernung sichtbar, aber das letzte Stück dorthin zieht sich noch mal gewaltig. Zwischendurch denke ich wirklich, dass ich gerade halluziniere und es das Dorf eigentlich gar nicht gibt. Aber schließlich bin ich da. Ich bekomme einen Schlafplatz, kann mich sogar noch kurz waschen und ein Omlette essen. Mit mir im Zimmer ist, ihr erinnert euch: Isabella, meine Katz- und Maus Partnerin! Ihren Gesichtsausdruck als ich ins Zimmer komme werde ich nie vergessen. Ich bin kein kompetetiver Mensch und vergesse daher auch gerne mal, dass wir uns ja eigentlich gerade in einer Rennsituation befinden. Dies geht jedoch nicht allen Teilnehmenden so, was mich immer wieder zum schmunzeln bringt.

Tag 4: Ibn Yacoub nach Ait Mansour (199 km, 4 480 hm)

Als ich gegen 03:30 Uhr von meinem Wecker geweckt werde ist Isabella schon weiter gefahren. Ich packe meine Sachen schnell zusammen und schwinge mich ebenfalls wieder aufs Bike. Schon nach wenigen Metern wird der Weg sandig und immer schwerer zu befahren, weshalb ich viel schieben muss. Es ist mitten in der Nacht, niemand um mich herum und ich genieße es total zu diesem Zeitpunkt genau an diesem Ort zu sein. Nach dem sandigen Stück kommt ein steiniges Hochplateau (wo ich mich natürlich mal wieder verlaufe) und dann geht es ein wunderschönes Stück eine Schlucht hinunter. Mittlerweile geht die Sonne auf und ich bin wirklich total fasziniert von der Umgebung. Fast ein bisschen zu schnell komme ich in Tagmout an.

Hier frühstücke ich kurz, bevor es dann zur Old Colonial Road geht. Diese ist fast vollständig geschottert und für den normalen Verkehr nicht befahrbar, da an zwei Stellen die Straße komplett abgebrochen ist. Es heißt also runter vom Rad und um die Stelle herum schieben. Insgesamt ist der Streckenabschnitt sehr schön und entgegen der Erwartung auch nicht so hart wie gedacht. Nach ca. 5 h Fahrt bergauf bin ich am höchsten Punkt angekommen und erreiche nach einer entspannten Abfahrt das nächste Restaurant. Es gibt wieder eine leckere Tajine sowie einige Jogurts und Kaffee und ich kann meine Geräte laden.

Ich ziehe alles an, was ich dabei habe und versuche die aufkommende Panik zu unterdrücken. Wenn jetzt was passiert!

Dieses Mal kommt Isabella kurz nach mir an und wir überlegen, ob wir es wohl noch bis zum nächsten Checkpoint in ca. 120 km schaffen. Es ist mittlerweile fast 17 Uhr und dementsprechend ziemlich unrealistisch, aber hier schon zu bleiben wäre auch verschenkte Zeit. Im Sonnenuntergang geht es durch einen Canyon mit vielen kleinen Dörfern, der Muezzin ruft zum abendlichen Gebet und insgesamt ist die Stimmung wunderschön. Leider wird der Weg bald immer schlechter befahrbar und ich muss immer wieder schieben. Außerdem muss man ja auch irgendwie aus dem Canyon raus kommen und das geht nur – Überraschung – indem man ein paar Höhenmeter überwindet. Als ich endlich das Hochplateau erreicht habe ist es dunkel und unfassbar kalt. Ich ziehe alles an, was ich dabei habe und versuche die aufkommende Panik zu unterdrücken. Wenn jetzt was passiert! Insgesamt ist die Stimmung total unrealistisch: Aufgrund des Gesteins und der Dunkelheit erscheint (oder ist? Ich muss unbedingt noch mal im Hellen an diesen Ort kommen!) alles um mich herum weiß und immer wieder tauchen LKWs wie aus dem nichts aus und brettern an einem vorbei.

Außerdem bin ich wieder unfassbar müde. Ich rufe eine Freundin an die gerade in den USA ist, damit wir uns ein bisschen unterhalten können und ich wach bleibe. Leider bricht der Empfang bald ab (ich weiß nicht, ob es an meinem Vertrag gelegen hat, aber der Handyempfang hat zwar immer für Nachrichten gereicht, jedoch selten für unterbrechungsfreie Telefonie). Nachdem ich einmal tatsächlich auf dem Bike einschlafe steige ich ab und setze mich an den Wegesrand – unschlüssig, ob ich nun hier schlafen oder weiter fahren soll. Ich mache einen kurzen Power-Nap und entscheide mich dann fürs weiter fahren, es ist einfach zu kalt zum schlafen.

Es hilft, dass in dem Moment ein anderer Fahrer vorbei kommt und wir die letzten 20 km bis zu einer kleinen Herberge gemeinsam bewältigen. Es ist vier Uhr morgens, als wir endlich dort ankommen. Alle schlafen schon und eigentlich sind auch alle Räume belegt, aber ich finde noch einen freien Platz im Gemeinschaftsraum. In diesem schläft zwar schon ein anderer Rennteilnehmer, aber der Herbergsvater sieht wohl ein, dass in dieser Situation eine strikte Männer – Frauen Trennung sinnlos ist. Und so schlafe ich bald tief und fest – wobei ich komplett vergesse, mir ein Wecker zu stellen.

Tag 5: Ait Mansour nach Ait Nisser (180 km, 3 309 hm)

Auch ohne Wecker wache ich glücklicherweise 2 ½ h später auf. Der Herbergsvater ist zu dieser Zeit auch schon wieder wach und macht mir ein sehr großes Frühstück mit einem, wie er immer wieder stolz betont, Berber Omlette – tatsächlich ist es eines der leckersten, die ich auf der Tour gegessen habe. Dazu gibt es wieder Tee, Kaffee und reichlich Brot und so gut gestärkt nehme ich die letzten Kilometer zum Checkpoint in Angriff.

Schon seit Beginn des Rennens hatten viele Rennteilnehmer:innen auf den zweiten Checkpoint hingefiebert, da es bei diesem „westliches“ Essen wie Pizza und Burger geben sollte. Dies wäre auch ein Anreiz für mich gewesen, in der Nacht noch die Strecke bis dorthin zu fahren. Als ich diese jetzt jedoch im Hellen fahre bin ich froh, es nicht gemacht zu haben. Insbesondere die Serpentinen runter nach Tafraoute sind nicht ohne und mit meinem Schlafmangel wäre das mehr als gefährlich geworden. Außerdem war das Berber-Frühstück ziemlich gut und es hatten einige Fahrer nach dem CP3 Magenprobleme…

Am Checkpoint angekommen treffe ich wieder Isabella, die jedoch schon am aufbrechen ist. Ich lasse meine Karte abstempeln, klatsche mit Eric und Alex ab (zwei Fix-Gear Fahrer aus der USA, die es auf wundersame Weise immer wieder schaffen vor mir an den Checkpoints zu sein…) und dann geht es weiter. Die Region rund um Tafraoute ist anders als zuvor, alles ist viel grüner und bewachsener. Außerdem gibt es deutlich mehr Touristen. 

Es folgt eine relativ lange Strecke auf Asphalt, bevor es dann wieder auf Schotterpisten geht. Diese sind wieder ziemlich grobschotterig und es gibt in der Abfahrt ein paar miese Gegenanstiege. In der Dämmerung erreiche ich endlich das nächste Dorf. Hier herrscht Feierabendstimmung und viele Einheimische sind auf den Straßen unterwegs. Ich halte bei einem Restaurant an und stärke mich mit Omelette und Jogurts. Außerdem überlege ich, was ich jetzt machen soll. Es gäbe in 20 km ein Hotel, allerdings wartet in knapp 60 km der Wüstenabschnitt (8 km durch den Sand) und mich reizt die Vorstellung dort zu schlafen. Und da auch die anderen noch weiter fahren mache ich das auch (eine Entscheidung die rückwirkend betrachtet mein zweiter großer Fehler im Rennen gewesen ist).

Ich denke, dass ein Dorfbewohner mich sucht, dabei stammte der Lichtkegel von einem anderen Rennteilnehmer…

Die Strecke ist zwar gut fahrbar, aber aufgrund meiner Müdigkeit habe ich trotzdem eine langsamere Durchschnittsgeschwindigkeit. In einem Dorf kläfft mich eine ganze freilaufende Hundeherde zusammen und zwingt mich, einen kleinen Umweg zu machen. Und schließlich finde ich einfach den richtigen Weg nicht mehr. Völlig entnervt baue ich mein Nachtlager auf, wobei die Stelle denkbar ungünstig ist. Ich bin viel zu nahe an dem Dorf und somit den Hunden. Außerdem sehe ich nach ein paar Minuten einen Lichtkegel und denke, dass dies vielleicht ein Dorfbewohner ist der nach der Ursache für die kläffenden Hunde sucht (Spoiler: Es war ein anderer Radfahrer, der im Gegenzug zu mir den richtigen Weg gefunden hatte, jedoch aus irgendeinem Grund nicht auf der Tracking-Seite zu sehen war).

Bis ich in meinem Biwacksack liege vergeht einige Zeit und dann muss ich noch meine Kontaktlinsen entfernen. Ich habe Glück, dass ich diese wahnsinnig gut vertrage und mir meine Augen einiges verzeihen, aber bei diesen Rennen sehne ich mich doch manchmal danach auch ohne Hilfe scharf sehen zu können.

Tag 6: Von Ait Nisser nach Irgendwo im Nirgendwo (86 km, 2788 hm)

Ich schlafe unruhig und wache immer wieder auf. Nach einer Stunde schaue ich auf die Dotwatcher-Seite und sehe: Die anderen aus meinem Feld fahren schon wieder. Und irgendwie war ich immer mehr von der Idee besessen, das Rennen doch in 6 Tagen zu finishen. Rückblickend betrachtet weiß ich nicht, was da mit mir los war. Ich hätte einfach noch für eine Stunde liegen bleiben sollen. Stattdesssen packe ich hastig alles zusammen, breche schnell auf, finde zwar den richtigen Weg aber bin einfach nur müde. Und ich ärgere mich maßlos über mich selbst, dass ich nicht im Hotel geschlafen oder zumindest bis zur Wüste weiter gefahren bin. Denn dort herrschen wirklich die perfekten Bedingungen zum Schlafen: Vollmond, Sternenklare Nacht, Einsamkeit. Aber anstatt meine (falsche) Entscheidung nun einfach zu akzeptieren hänge ich dieser ewig nach. Dadurch trödele ich und verliere schließlich aus Unachtsamkeit sogar den Weg.

Ich stehe plötzlich mitten in der Nacht in der Wüste und weiß nicht mehr, wo ich hin muss! Ich bin mental am Tiefpunkt der Tour angekommen. Telefoniere mit meinem Mann, der im Gegenzug zu mir einen ruhigen Kopf hat und mich wieder auf die richtige Route manövriert. Irgendwie quäle ich mich die 7 km durch den Sand, kann am Schluss sogar noch fahren und bin zum Sonnenaufgang im nächsten Dorf. Es ist kalt und ich bin völlig fertig. In einem Laden kaufe ich mir Backwaren, allerdings platzt die Tüte auf und alles liegt am Boden. Ich fühle mich so dreckig und unfähig. Aber es hilft nichts, irgendwie muss ich weiter.

Irgendwo tief in mir ist eine Stimme die sagt: Besser wird’s nicht! Fahr weiter!

Vor mir liegen 20 km auf Asphalt, mein Wahoo ist zu wenig geladen, fällt aus, ich muss mit dem Handy navigieren, das plötzlich unauffindbar ist und erst nach einiger Sucherei glücklicherweise in meiner Tasche auftaucht. Als ich im nächsten Dorf ankomme bin ich ernsthaft am überlegen mir einfach ein Hotel zu nehmen, zu schlafen und dann weiter zu fahren. Aber irgendwo tief in mir ist diese Stimme die sagt: Besser wird’s nicht. Fahr weiter. Und dieser folge ich. Wasche mich kurz an einer Wasserstelle und fahre dann einfach weiter.

Es geht eine Passstraße hoch, erst auf Asphalt und schließlich wieder auf Schotter. Langsam geht es mir besser. Leider gehen zunehmend auch meine Vorräte zu Neige weshalb es umso cooler ist, dass die Einheimischen in regelmäßigen Abständen kleine Stände mit Snacks und Getränken aufgebaut haben. Um diese zu unterstützen halte ich an allen Stationen und esse oder trinke etwas. Am tiefsten Punkt der heutigen Etappe angekommen treffe ich auf Julie, die nach einer Reifenpanne schon dachte aufhören zu müssen, nun aber doch noch die letzten Kilometer in Angriff nehmen will. Wir fahren ein bisschen zusammen und es tut gut, sich mal kurz zu unterhalten (insgesamt bin ich bei dieser Tour so wenig mit anderen zusammen gefahren wie noch nie). Sie ist jedoch deutlich schneller und so bin ich bald wieder alleine unterwegs – bis ich auf einen anderen Rennteilnehmer treffe mit dem ich ebenfalls ein paar Kilometer teile.

Schließlich bin ich jedoch so müde, dass ich kurz vor der Passhöhe noch mal mein Schlafquartier aufbaue. Und tatsächlich war das eine sehr gute Entscheidung, denn die Aussicht ist nicht nur sehr gut, sondern ich kann auch drei Stunden wirklich tief und fest schlafen.

Tag 7: Von Irgendwo im Nirgendwo nach Essaouria (Finish) (169 km, 2 367 hm)

Mein Wecker klingelt um Mitternacht und ich packe schnell alles zusammen. Ich bin sehr motiviert noch die letzten Kilometer bis zum Ziel zu fahren und freue mich, spätestens am Nachmittag am Strand in Essaouria zu sein. Und von nun an würde es eh (fast) nur noch bergab gehen (hatte ich schon mal erwähnt, dass ich Höhenprofile immer mit einem sehr optimistischen Auge betrachte?!). Mittlerweile macht mir das Fahren im Dunkeln überhaupt nichts mehr aus, selbst, wenn niemand anderes um mich herum ist. Und ich komme auch wirklich gut voran. Blöd ist nur die Tatsache, dass ich nach wie vor etwas zu wenig Essen dabei habe. Aber Marokko ist einfach immer für Überraschungen gut, denn keine 30 km gefahren taucht plötzlich mitten im Nichts ein kleiner, Kiosk auf (und nein, ich habe nicht halluziniert!).Der Verkäufer ist genauso überrascht wie ich, bietet mir aber gleich ein Nutellabrot an. Das hätte ich allerdings vor Ort essen müssen, weshalb ich mich für ein paar Kekse und Cola entscheide.

Es geht ziemlich lange über Schotter, aber kurz vor dem ersten Küstenort auf der Tour (Imsouane, sehr beliebt unter Surfern) gibt es noch mal ein paar Kilometer auf Asphalt. Hier beginnt wieder der Kampf gegen den Schlaf. Es fällt mir extrem schwer meine Augen aufzuhalten und ich muss mehrmals kurz anhalten um den Sekundenschlaf von der Straße an den Straßenrand zu verlegen. Darüber hinaus ist es mal wieder ziemlich kalt.

Ich nutze die Zeit um das Rennen Revue passieren zu lassen, genieße noch mal das Radfahren, die Sonne, die Landschaft. Und bin überglücklich.

Ich komme mit dem Beginn der Dämmerung in Imsouane an und kann mein Glück kaum fassen, als ich an einer schon geöffneten Bäckerei vorbei fahre. Hier gibt es frische Backwaren und Kaffee! Ich stärke mich, quatsche ein bisschen mit anderen Fahrern die ebenfalls dieses Paradies entdeckt haben und fahre dann weiter. Ab hier geht es nur noch an der Küste entlang, noch 100 km bis zum Ziel. Ich nutze die Zeit um das Rennen Revue passieren zu lassen, genieße noch mal das Radfahren, die Sonne, die Landschaft. Und bin überglücklich. Auch ein paar Höhenmeter und schlechte Straßenbeläge (in Marokko gibt es immer wieder Rollsplit auf dem Asphalt, was nicht unbedingt zu einem höheren Sicherheitsgefühl beiträgt…) können daran nichts abhaben. Und schließlich sind es nur noch 20 km. Ab hier weiß ich: Ich werde ankommen. Und wenn es schiebend ist!

Kurz vor Essaouria taucht plötzlich Sebastian mit seinem Bike auf. Er ist schon seit längerem im Ziel und hat die Zeit für eine kleine Radtour genutzt. Wir hatten uns in Marrakesh kennen gelernt und ich freue mich sehr, ihn wieder zu sehen. So gut eskortiert komme ich schließlich am Finish an – nach 6 Tagen, 20 h! Nach dem Abstempeln der Race-Karte geht es kurz ins Meer und dann zum Hotel, wo ich nach dem Duschen einfach einschlafe (was ein bisschen schade ist, da ich somit die Ankunft weiterer Rennteilnehmer:innen sowie ein gemeinsames Abendessen einfach verschlafen habe).

Aber in den nächsten zwei Tagen ist noch genug Zeit um das nachzuholen. Ich genieße das gute Essen, sitze viel am Strand rum und mache schlussendlich noch einen Surfkurs. Viel zu früh geht es wieder zurück nach Marrakesh und dann Richtung Heimat (zu der Zeit hatte es in Deutschland -5 Grad und Schnee…).

Ich bin sehr dankbar für die Erfahrungen, die ich bei dem Rennen machen durfte. Es war rundum ein gelungenes Event und wie auch beim Three Peaks Bike Race und dem Trans Balkan Race kann ich wirklich jedem empfehlen, daran teilzunehmen. Egal, ob ambitioniert oder genussorientiert. Und vor allem egal ob Mann oder Frau. Die Marokkaner sind wirklich sehr gastfreundlich und ich habe mich nie unsicher gefühlt!

Und für alle, die denken, dass sie noch nicht bereit für so etwas sind: Doch, seid ihr. Es wird nie den perfekten Moment geben. Wichtig ist, es nicht ständig aufzuschieben. Weil ja, vielleicht ist man nächstes Jahr besser trainiert. Aber vielleicht passen dann andere Faktoren nicht mehr. Wenn es irgendwie geht sollte man immer versuchen seine Träume und Wünsche so bald es geht umzusetzen! (Und damit genug der Moralpredigt ;))

Etwas geschafft aber überglücklich!